Warum Internetzensur zu mehr Freiheit führen könnte +Nachtrag

Viele, die vom Staat angestellt sind, leben nicht unter der Konkurrenz anderer Branchen, weswegen der Druck, sich abzukrepeln, nicht selten eine Gewissenssache ist. Kurzum: Ich vermute, dass Internetzensur tendenziell zu mehr Nachlässigkeit bei den staatlichen Angestellten für „Internetsauberkeit“ führen könnte. Der Provider antwortet nicht auf eine Löschanforderung einer heiklen Seite? Dann wird die Seite einfach zensiert – sofort man kann weiterarbeiten und sich diese Aufgabe wann anders vornehmen – das Schlimmste ist ja dank Sperre nun vorbei.
Was jetzt nun gesperrt wurde, ist kinderleicht mit einem ausländischen IP-Wechsel durch Proxy rausfindbar.

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Sinkendes unnachvollziehbares Löschen bei Internetzensur?

Dürfen Angestellte jedoch eine Seite nicht blockieren, müssen sie alles dran setzen, sie aus dem Internet zu entfernen. Aus welchen Gründen eine Seite nun geschlossen wurde, ob der Inhalt Politik/Lobby/etc. kritisch war, kann man nicht mehr nachvollziehen. Man erfährt den Grund, warum etwas verschwand, nicht mehr und man kann weder von außen erfahren, ob es rechtens geschah oder nicht. Ob eine Seite mit anonymisierten ausländischen IPs durch DDOS-Attacken abgefeuert wurde, weil der Inhalt für jemanden zu kritisch war, oder ob eine Provideranfrage zu einer fairen Löschung aufgrund belegter Gründe eingereicht wurde – man wird es sehr wahrscheinlich nie erfahren, nicht bemerken, nicht weiter drüber nachdenken und nie herausfinden. Man akzeptiert das Schicksal einer Seite, nicht aufrufbar zu sein und sie gerät ins Vergessene. Wie viele Seiten schon permanent aufgrund ungemütlicher Infos solchen Aktionen zum Opfer fielen, werden wir auch nie erfahren. Und bei gewissen Staaten dürfte das mehr als genug sein.

Und aus diesem Grund kann eine Löschung ebenso aus suspekteren Gründen beauftragt sein als eine Zensur, die man mit einem Proxy übergehen kann. Die Tatsache, dass Internetzensur auch noch zusätzlich zur Löschnachlässigkeit führen kann, bestärkt die Situation, dass weniger auf Teufel-komm-raus unnachvollziehbares Seitenverschwinden stattfindet. Es liegt nicht selten in der Natur des Menschen durch vereinfachte Umsetzungen (Zensur) den Hang zu entwickeln, sich selbst weniger reinzuhängen (Löschung). Sicherlich nicht grundsätzlich, aber tendenziell.

Ein fragwürdiger Streik?

Vor langer Zeit fragte mich mal wer, warum ich nicht gegen die Internetzensur streiken gehe. Ich entgegnete: „Warum streikt ihr, wenn sie so einfach umgehbar ist?“ Die Antwort handelte von Prinzipverhalten. Daraufhin sagte ich, dass ein Streik gegen Gesetze, die für den Alltag weit relevanter und nicht so kinderleicht und auch noch legal umgehbar sind, in meinen Augen weit sinniger wäre.
Mit meinem zufälligen gestrigen Gedanke, finde ich nun, dass die ganze Aktion in gewisser Hinsicht für viele kontraproduktiver sein dürfte, als man vielleicht zuerst gedacht hat – denn das Fehlen von Zensur ist ein Antrieb für mehr gerechte als auch ungerechte Löschung, die man aber als Außenstehender wahrscheinlich nie einsehen und somit nachvollziehen könnte.

Ich bin nicht gegen eine Löschung, ich will nur unterstreichen, welche Risiken das für die Internetfreiheit mit sich bringt und warum menschliche Nachlässigkeit dank Zensur Sachen durchsickern lassen kann, die politisch und wirtschaftlich enorm relevant sein könnten, falls jemals der Falsche am Hebel sitzen sollte. Zensur besänftigt das Gewissen der Zensierer – egal, welcher Inhalt zensiert wird – aber ist entlarvbar, wenn es missbraucht wurde. Löschung ist das nicht und ich bin mir sehr sicher, dass viele Staaten kritische Seiten allein strategisch lieber in die Knie zwingen als sie nur zu vertuschen. Natürlich ist das alles kein entweder-oder – jeder, der unfair löschen will, wird auch einen Weg finden es zu tun -, aber ich lege auch den Schwerpunkt auf die menschliche Nachlässigkeit, die uns bestimmt schon vor mehr Katastrophen bewahrt hat als ein starres System je abzuwehren glaubte – denn dieses ist missbrauchbar. 

1.4.2013 Nachtrag: Warum das Ganze doch eine schlechte Idee ist

Ehrlich gesagt bin ich mittlerweile wieder verstärkt gegen Zensur. Obwohl Zensur leicht umgehbar ist und obwohl dadurch mehr geschludert und mehr online gelassen werden könnte (statt auf Teufel komm raus rumzulöschen), ist da ein neuer Aspekt, der für mich tiefgreifender ist: 

a) Proxys sind nervig und kaum jemand zahlt für so einen Service. Man geistert letztendlich also ziemlich isoliert in gesperrten Bereichen rum und 

b) dadurch wagen viele Personen im Endeffekt keinen kritischen Kontent mehr zu bringen. Die Nachfolge an gewissem Inhalt und die Diskussionen daran schlafen ein. 

Nicht, weil die Regierung beim Säubern schludert, sondern weil viele Personen sich dann auf das übrige Internet beschränken, die normalerweise sich in den anderen Bereichen eingebracht hätten oder daran Interesse gefunden hätten. Und das sehe ich als starken Verlust in der Freiheit des Internets und in der gemeinsamen Kultur, die wir erschaffen haben.

Gerade dazu kam letztens eine Meldung über die EU:
die EU erlaubt nun offiziell Internetsperren

Es sieht schlecht für uns aus. Oder wie ein Freund zu mir meinte „Das Geile ist, dass die EU einfach so beschließen darf, was gesperrt wird – kein Richtervorbehalt, nichts. Rate mal wo die Rechteinhaber nun hinrennen? Zum rumänischen EU-Ratsmitglied ihrer Wahl.“ In Deutschland hätte es zumindest Kontrollinstanzen gegeben, aber bei solchen Bedingungen könnten Sperren in der EU weit willkürlicher ablaufen. 

  • TRT

    Ein interessanter Einwand.
    Ich denke auch es wird immer eine technische Möglichkeit geben Seitensperren zu umgehen.
    Du hoffst auf die Faulheit der Zensierer. Leider funktioniert diese Argumentation mindestens genau so gut für den Durchschnittsbürger:
    Der Mensch glaubt nur allzu gern, was er glauben möchte. Statt einfachen Offline-Nehmen spricht nichts dagegen die Lücke einfach mit eigener Propaganda aufzufüllen.
    Von den 50% die die Lügen dann nicht glauben, wissen dann vielleicht die Hälfte was ein Proxy ist. (und das halte ich für die optimistischten Schätzungen)
    Außerdem ist der Trend ja eh immer mehr zu Surfen auf dem Smartphone/TV/Konsole, da würden Manipulationen direkt in der Firmware auch weniger auffallen.
    Wenn die ältere Generation der Menschen die das Internet zu spät kennengelernt haben, von unserer ersetzt wurde, haben wir dafür unter uns eine die genau so ahnungslos von der Technik des Internets ist wie unsere Großeltern und deren Facebook-Feed die wichtigste Nachrichtenquelle ist.
    Nach ein paar Jahren ist es dann schnell am bequemsten die offizielle Wahrheit zu glauben, dieses Prinzip wird auch in China gerne ausgenutzt…
    Drum, Wehret den Anfängen! 😉

    • Leider scheinst du Recht zu haben. Am Ende läuft es auf das Userverhalten hinaus, was aus dem Internet wird.
      Ehrlich gesagt bin ich mittlerweile wieder verstärkt gegen Zensur. Obwohl Zensur leicht umgehbar ist und obwohl dadurch mehr geschludert und mehr online gelassen werden könnte (statt auf Teufel komm raus rumzulöschen), ist da ein neuer Aspekt, der für mich tiefgreifender ist:

      a) Proxys sind nervig und kaum jemand zahlt für so einen Service. Man geistert letztendlich also ziemlich isoliert in gesperrten Bereichen rum und

      b) dadurch wagen viele Personen im Endeffekt keinen kritischen Kontent mehr zu bringen. Die Nachfolge an gewissem Inhalt und die Diskussionen daran schlafen ein.

      Nicht, weil die Regierung beim Säubern schludert, sondern weil viele Personen sich dann auf das übrige Internet beschränken, die normalerweise sich in den anderen Bereichen eingebracht hätten oder daran Interesse gefunden hätten. Und das sehe ich als starken Verlust in der Freiheit des Internets und in der gemeinsamen Kultur, die wir erschaffen haben.

      Gerade dazu kam letztens eine Meldung über die EU: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/03/27/eugh-fuehrt-offiziell-die-zensur-im-europaeischen-internet-ein/

      Es sieht schlecht für uns aus. :/ Oder wie ein Freund zu mir meinte „Das Geile ist, dass die EU einfach so beschließen darf, was gesperrt wird – kein Richtervorbehalt, nichts. Rate mal wo die Rechteinhaber nun hinrennen? Zum rumänischen EU-Ratsmitglied ihrer Wahl.“ In Deutschland hätte es zumindest Kontrollinstanzen gegeben, aber bei solchen Bedingungen könnten Sperren in der EU weit willkürlicher ablaufen.