Homöopathie – lebensrettende Wirkungslosigkeit?

Homöopathische Mittel by shellac

Oft liest und sieht man Streiks. Man hört, die Krankenkassen sollen Homöopathie nicht finanzieren, weil es keine medikamen-töse Wirkung habe und der Wirkstoff quasi nicht vorhanden sei. Passanten nahmen sogar schaulustig bergeweise homöopathische Mittel vor Publikum ein, um zu demonstrieren, dass weder Wirkung noch Nebenwirkung eintreffen dürfte. Zeitschriften wie Spiegel und Stern starteten allerlei Aufklärungsartikel – der Glaube an die Pillen sank. Zu Unrecht.

Die Wahrheit über die Pillen ist…

dass sie tatsächlich keine pharmazeutische Wirkung haben, da es idR keinen Wirkstoff gibt. Dass riesige Verdünnung von Wirkstoffen nicht nachgewiesenermaßen dazu führt, dass sich das Wasser an einen Wirkstoff „erinnert“ und einen nebenwirkungsfrei nur mit positiven Effekten segnet; dass weder die teure und spezielle Herstellung noch andere Umgangsarten je dazu geführt haben, dass die Wirkung in Studien über den Placebo-Effekt, also dem Effekt von wirkungslose Tabletten, hinauskam. Damit ist die Sache für Kritiker oft gegessen, ohne zu bemerken, was der Placebo-Effekt alles Unglaubliche erschaffen wie zerstören kann…

Wann ist ein Medikament ein Medikament?

Medikamente werden zugelassen, sofern sie in Studien einen höheren Wirkungseffekt haben als die Kontrollgruppe, die Placebos nahm und daher primär durch den Glauben an die Tabletten oder dank Spontanheilung genesen ist. Erst ab dem Punkt, ab dem die Wirkung unabhängig von der Glaubens- und Spontanheilungsrate verläuft, kann ein Wirkstoff zum Medikament werden. Manchmal ist es bei wenigen Probanden schwer, einen objektiven Effekt zu erhalten, manchmal braucht es mehrere Studien, um Placebos zu entlarven, sodass Medikamente auch nachträglich vom Markt genommen werden – zu Ungunsten derer, die einen Effekt durch ihre Überzeugung erhielten.

Homöopathieprotest | Richard Craig

Selbstmord mit Placebos

ist anscheinend nicht unmöglich. Vor einigen Jahren nahm ein Student an einer Studie teil. Während der Studie wollte er sich mit einer Überdosis an Medikamenten das Leben nehmen. Was er nicht wusste: Er war in der Placebo-Kontrollgruppe und hatte nie einen Wirkstoff eingenommen. Dennoch schwebte er nach der vermeintlichen Überdosierung in hoher physiologischer Lebensgefahr und konnte gerade noch gerettet werden. Die Werte stabilisierten sich letztendlich, als der erfuhr, dass er zur Placebogruppe gehörte.
Roy R. Reeves, General Hospital Psychiatry 2007129:275-277, nach MMW-Fortschr. Med. Nr. 7 / 2010 (152. Jg.) v. 18. Februar 2010, S. 13
Wenn die eigene Überzeugung solche Berge versetzen kann, dann unterschätzt man die Placebowirkung deutlich. Viele schätzen ihren Effekt nicht, bedenken aber nicht einmal, dass man den Wirkungsraum von Placebos erst einmal überhaupt erreichen muss – was mit Unüberzeugung bei wirkungslosen Tabletten kaum funktioniert, denn der Placebo-Effekt ist nicht nur eine Frage der Spontanheilung – er betrifft ebenso stark die eigene Überzeugung, die maßgeblich auf den Ausgang der Krankheit einwirkt. Zudem dürften besonders Hypochonder von Homöopathie stark profitieren.

Ausschlaggebende Emotionen

Emotionslose Vernunft ist in einem emotional reagierenden Körper nicht aller Dinge Lösung und behindert manche mehr als es ihnen hilft. Ich bin absolut für vernünftige Entscheidungen, aber dafür müssen die Umstände ebenso passend sein – der Mensch ist aber keine emotionslose Maschine, sondern hat den Faktor Psyche, der sehr viel ausmacht. 
Unsere Emotionswelt ändert körperliche Genesungsreaktionen sehr und das ist der Punkt, wo Homöopathie wirklich zum Tragen kommt.

Man hilft im medizinischen Wesen nicht emotionslosen, berechenbaren Maschinen – dafür ist das Ingenieurwesen gut -, sondern emotionalen Menschen, die mit ihrer Psyche viele biochemische Reaktionen in Gang setzen können, von denen einige ohne eine heilsame Lüge nicht genesen könnten. Und ab dem Punkt, ab dem dieser Glaube wirkt, hat man bei diesen Menschen einen Medikamenteneffekt erreicht.
Man kann bei einem Menschen nicht die Psyche bei der Behandlung einfach prinzipiell ignorieren, wenn diese dermaßen viel ausmacht. „Kalt“ zu behandeln ist nicht die bestmög-liche wissenschaftliche Behandlung – so wissenschaftlich es einige auch finden – denn die Psyche ist ein weiterer Faktor, ein weiterer Parameter, der hohen Einfluss auf das Ergebnis hat, aber von Kritikern einfach links liegen gelassen wurde und dessen Potenzial vermeintliche Aufklärer einfach prinzipiell unberücksichtigt lassen. Es ist nicht wissenschaftlich, maßgebliche Faktoren wie die Psyche und Einstellung der Patienten bei der Behandlung zu übergehen.

Ignorierte Randerscheinungen bei Studien | Ein Durchschnittsergebnis für alle?

Wenn jemand Fortschritte mit Homöopathie oder Placebos erlebt und diese weiterhin braucht, um glücklich zu sein, warum sollte man einer solchen Person diese Heilungsmöglichkeit dann wegnehmen? Ist es etwa besser, diese Person aussichtslos stehen zu lassen?
Geht es hier wirklich noch um’s Heilen oder ist man nicht doch eher in prinzipielle Sturheit verfallen, die nicht mehr aufs Patientenwohlsein abzielt, sondern nur die eigenen Überzeugungen, zu ungunsten der glücklichen Lage des Patienten, aufzwingt? Wenn es einem Patienten half, dann hat dieser doch seinen Medikamenteneffekt erreicht. Genauso gibt es Menschen, die trotz wissenschaftlich bewiesener Medikamenteneffekte an sich gar keinen Effekt durch diese echten Medikamente sehen. Wer ist nun im Recht?

Echte Medikamente und ihre Studien beziehen sich stets auf Durchschnittswerte – und das vergessen viele. Aber nicht jeder Mensch ist ein Durchschnittswert. Homöopathie handelt von jenen Menschen, die nicht zu den Durchschnittswerten von Studien gehören. Wieso sollte man jenen Menschen, die bei Studien die Randerscheinungen ausmachen und daher nicht wie die meisten auf Medikamente reagieren, partout von ihrer eigenen Lösung „befreien“? 
Oder geht einer auch zu sterbenden Menschen und erzählt ihnen, unwissend ob es stimmt, das Jenseits könne man vergessen? Im Falle Homöopathie wird der Glaube gerade zur Wahrheit für den Patienten.
Medizin berührt nicht nur den Durchschnittswert einer Studie, sondern auch jene, die bei ganz anderen Ergebnissen als die Mehrheit der Teilnehmer gelandet wären. Für diese gilt ein anderer Wertungshorizont, ein anderer Weg, bei der Behandlung. Die eigene Genesung liegt nicht prinzipiell im Durchschnittswert anderer Menschen. Wer auf Placebos oder Homöopathie anspringt, hat bereits seine eigene Lösung – der hat im vermeintlich Wirkungslosen tatsächlich Wirkung erfahren.

Der schädliche Weg der sogenannten „Wahrheit“

Statt mehr auf die Überzeugungskraft der Patienten zu setzen, verursachen solch‘ weiträumige „Hey, ich hab‘ die Homöopathie entlarvt, lasst sie uns boykottieren!“-Rufe und jene Anhänger das Gegenteil. Der allgemeine Überzeugungseffekt in der Wirkung sinkt, wodurch man letztendlich auf wirkliche Medikamente zurückgreifen muss, die deutliche Nebenwirkungen aufweisen können – obwohl der Glaube allein oftmals gereicht hätte -; ganz frei nach „A healthy mind, a healthy body“. Verantwortungslos wären solche Empfehlungen allerdings bei ernsten Krankheiten, bei welchen Homöopathie-Ärzte (schließlich sind sie trotz Spezialisierung weiterhin Mediziner – anders als Heilpraktiker) ohnehin verpflichtet sind, von Alternativmedizin abzuraten. Es sei denn, sie wollen sich strafbar machen.

Krankenkassen argumentierten bisher, zu meiner Überraschung, primär nur damit, dass es sich finanziell für die Kassen lohnt, Homöopathie anzubieten, da gerade finanziellstarke Versicherte Homöopathie bevorzugen würden und sie damit ein sehr wichtiges Klientel, das hohe Abgaben zahlt, an Privatversicherungen verlieren würden. Selbst statistisch sahen sie es belegt. Ein homöopathischer Arzt kann sich zudem viel mehr Zeit für seine Patienten nehmen. Vieles läuft über den Zugang aus Menschlichkeit, was letztendlich viel Effekt auf kranke Patienten hat und stark zur Genesung beitragen kann.

  • Cloud

    Danke für diesen interessanten Beitrag.

  • Hallo,

    vielen dank für den interessanten Artikel. Ich finde es wichtig den Zeitpunkt zu unterschieden wann „herkömmliche“ Medizin und wann Homöopathie helfen kann. In der Prevention ist Homöopathie sicher sehr sinnvoll, da es Krankheiten abmildern kann und helfen. Aber manchmal ist es einfach für Homöopathie zu spät, da hilft dann nur Schulmedizin.

    Gruß

  • fünfzehen
  • Osmium

    Dein Post hat einige gute Argumente, aber eine Sache verkennst du. Homöopathie ist nicht die nette, nebenwirkungsfreie Ergänzung in minderschweren Fällen, die für sich allein den Placebo-Effekt gepachtet hat. Auf einen solchen Claim würden sich die Homöopathen nie beschränken.

    Nein, Homöopathie wird der Schulmedizin als gleichwertig, manchmal sogar als überlegen dargestellt. Die fehlenden wissenschaftlichen Belege seien dann natürlich allein in mangelhaften oder fehlenden Studien, Verschwörungen und Vorurteilen in der Medizin begründet. Wer an die Homöopathie glaubt und sich Wirkprinzipien verschließt, wird nur schwer von deren Grenzen und der medizinischen Notwendigkeit von Schulmedizin bei schweren Erkrankungen überzeugt werden können. Daran leiden und sterben Menschen! Auch wenn es für eine solche Entscheidung Ärzte gibt, die sich zusätzlich an die Homöopathie verkauft haben, sind in diesem alternativen Bereich Selbst-Behandlung oder der Gang zum Heilpraktiker ohne ärztliche Approbation alles andere als unüblich.

    An Homöopathie kann man nur glauben wenn man entweder fundierte wissenschaftliche Begründungen und Belege abstreitet oder versucht diese ebenfalls für die Homöopathie zu konstruieren. Homöopathische Studiengänge drängen an die Universitäten, neuerdings auch an die staatlichen. Dort sollte aber Wissen und nicht Glauben vermittelt werden! Als Naturwissenschaftler werde ich mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass echte wissenschaftliche Forschung durch eine solche Adelung untergraben wird.

    Bei der stärkeren Einbeziehung der Psyche und einer „warmen“ Behandlung von Patienten kann ich dir nur zustimmen. Wenn man etwas aus dieser „Irrlehre“ (Marburger Erklärung, lesenswert) positives lernen kann, dann das. Ein empathisches und ausführliches Gespräch mit dem Arzt des Vertrauens wird zu einem Placebo-Effekt einen Beitrag leisten. Es wäre zu überlegen, ob bei geringen Beschwerden und Ausschluss schwerer Erkrankungen nicht auch die Verschreibung eines Placebos im Ermessen des Arztes sein könnte (mit Kontrolle der weiteren Entwicklung). Und mit Placebo meine ich Schein-Medikamente, die für einen Cent-Betrag hergestellt und auch so von den Krankenkassen abgerechnet werden. Wozu braucht man dann aber noch kostspielige homöopathische Mittel? Die leichtfertige Verschreibung von (echten) Medikamenten kann man durchaus kritisch sehen, aber man braucht sicher keine Homöopathie die in die Bresche springt. Und wer seinen Glauben erhalten will, könnte sogar einen doppelten „Homöopathie-Placebo“ bekommen ohne je einen Unterschied zu erfahren, da chemische Zusammensetzung und Erwartungshaltung identisch wären.

    Homöopathische Medikamente können weiterhin rezeptfrei verkäuflich sein für die es wollen (das verbuche ich mal unter Glaubensfreiheit), aber ich bin nicht bereit das über meinen Krankenkassenbeitrag mitzufinanzieren.

    Gruß Osmium